Reizarme Welpenzeit - ein Nachteil?

Kalimera!

Hier geht es um die Geschichte von Sirius. Er wurde mit seinen sechs Geschwistern und seiner entkräfteten Mama von einer Schweizerin zufällig gefunden, erst wenige Tage alt - auf einem verlassen Campingplatz in Griechenland, kurz vor dem Kälteeinbruch.

Die Tierheime waren voll, aber die Hundefamilie hatte Glück und fand Unterschlupf bei einem engagierten Tierarztpaar. Es päppelte die Mama in der Tierklinik auf und kümmerte sich darum, dass es den Kleinen an nichts fehlte.

Sirius und seine Geschwister sind also in der Tierklinik aufgewachsen. Was bedeutet das nun? Einerseits natürlich eine hervorragende medizinische Betreuung. Und Kontakte zu verschiedenen Menschen - wer gerade Dienst hatte, war auch für das kleine Hunderudel zuständig.

Andererseits wurden die Welpen mit wenig Reizen konfrontiert. Das Personal gab alles, konnte aber natürlich nicht mit der Hundeschar Ausflüge unternehmen, sie an verschiedene Untergründe, Geräusche, Situationen gewöhnen - alles, was man sonst so in der Prägungsphase macht.

Kommt hinzu, dass Tierschutzhunde aus dem Ausland erst mit 16 Wochen ausreisen dürfen. Als Sirius bei uns einzog, war die Prägungsphase bereits vorbei und er satte fünf Wochen älter als meine Hündinnen, die ich im Alter von elf Wochen übernommen hatte.

Inwiefern zeigte Sirius ein anderes Verhalten als seine Vorgängerinnen, die ganz anders geprägt wurden? Was sofort auffiel, war sein gechilltes Wesen. Die erste Autofahrt mit dem Hundetransport an den Flughafen Thessaloniki? Cool down, easy. Bereitmachen zum Flug? Schwanzwedeln und neugieriges Gucken. Übergabe am Flughafen Zürich? Ja, hallo, hier bin ich.

Im neuen Zuhause war alles, alles neu. Die Menschen. Die Geräusche, Gerüche. Das Material. Teppich. Stühle, Tische. Der Garten. Nichts davon brachte den kleinen Griechen wirklich aus der Ruhe. Alles wurde beschnuppert, für ungefährlich befunden und das war's.

Seine grösste Kernkompetenz: Nachts schlief er durch, mucksmäuschenstill. Vermutlich war er das einfach gewohnt: Im ruhigen Raum in der Tierklinik passierte nachts rein gar nichts. Und auch tagsüber waren die Sieben oft in ihrer "Bubble". Sie hatten viel Ruhe. Viel Zeit zum Schlafen und Spielen. Es gab keine Reizüberflutung. Keine frühen Ausflüge mit Strassenlärm. Dafür einen sicheren Rahmen.

Die Retterin der Sieben, eine versierte Schweizer Tierschützerin, bläute uns eines immer wieder ein: Lasst die Hunde ankommen. Macht so wenig wie möglich mit ihnen zu Beginn. Bindung aufbauen, viel Körperkontakt, Haus und Garten kennenlernen. Mit der Zeit ganz kleine Runden durchs Quartier. Zeit haben, Zeit schenken. Bahnhöfe, Cafés, Zug, Bus - wartet damit.

Ich für meinen Teil habe das befolgt. Einfach ist es mir nicht gefallen. Im Hinterkopf schwebte dieses "Wenn er das jetzt nicht lernt, dann ..." - Jeden Mittag legte ich mich mit dem kleinen Griechen aufs Sofa zur Siesta. Das macht er übrigens bis heute. Anders als bei meinen Hündinnen verzichtete ich auf frühe Ausflüge, viele neue Reize. 

Wir waren vor allem zuhause und im Garten. Besucherinnen und Besucher mussten sich gedulden. Hatte Sirius deswegen einen Nachteil? Vermutlich nicht. Meine viel breiter geprägten Hündinnen fürchteten sich wesentlich länger vor dem Staubsauger als er. Küchenmaschine, Rasenmäher, Autoscheinwerfer, Schafe, Kühe? Daran hat er sich schneller gewöhnt als sie. 

Dafür zeigte sich bei ihm eine andere Eigenart: Immer, wenn irgendwo im Haus eine Tür ging, schreckte er hoch und guckte umher. Vermutlich, weil dieses Türgeräusch in der Tierklinik bedeutete: Achtung, jetzt gibt es gleich Action, jemand kommt mit Futter, mit einem Spiel, es wird aufregend.

Nach zwei, drei Monaten hat sich das wieder gelegt. Weil der kleine Grieche irgendwann realisiert hat: Bei diesem Türgeräusch geschieht hier nichts. Gar nichts. 

Der erste Marsch durch die Stadt an den Bahnhof: problemlos. Im Gartencafé sitzen: klar. Zugfahren: naaa ja. Da wird es dem kleinen Griechen rasch langweilig. Ausserdem möchte er gerne auf den Sitz. Wir üben noch.

In der Summe kann ich sagen: Die fehlenden Prägungen in Bezug auf viele verschiedene Reize im frühen Welpenalter zeigen keine Folgen. Ob und wie ein Hund mit Neuem umgeht, ist auch Charaktersache. Der kleine Sirius gehört zur forschen Sorte, während meine Labimixdame sich bei vermeintlich drohender Gefahr am liebsten tot stellte.

Mein persönliches Learning: Die Idee, einem Welpen möglichst viele  Erfahrungen zu ermöglichen, kann auch kontraproduktiv sein. Es lohnt sich, dem Hundekind viel Ruhe und Schlaf zu gönnen, Zeiten ohne Action, damit es Reize und Erlebnisse verarbeiten kann. Auch wenn man selber mit ihm am liebsten sofort und ungebremst die Welt erobern möchte. 

Doch durch diese Ruhe bleibt es entspannt. Das hilft ihm, neuen Reizen mit einer gewissen Coolness zu begegnen. Und eben chillig drauf zu sein - wie der kleine Grieche.

 

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